Umweltdachverband: „Standortentwicklungsgesetz ist der größte Gesetzesunfug der 2. Republik“

  • Umweltdachverband kritisiert im Schulterschluss mit namhaften RechtsexpertInnen massive Völker-, EU- und Verfassungsrechtswidrigkeit des Gesetzesentwurfs
  • BMDW wird dringend aufgerufen, den Entwurf in der vorliegenden Form zurückzuziehen

Wien 08.08.18 (UWD) Der Entwurf des Standortentwicklungsgesetzes, dessen Begutachtungsfrist am 17. August endet, sorgt bereits seit Wochen für Diskussionen. In der Kritik stehen nicht nur unvorhersehbare Risiken für Umwelt und Natur, die das Gesetz mit sich brächte, sondern auch seine offensichtlich grundlegende Rechtswidrigkeit. Im Schulterschluss mit namhaften RechtsexpertInnen bezieht der Umweltdachverband klar Stellung gegen den Entwurf: „Das sogenannte Standortentwicklungsgesetz entpuppt sich eher als Standortzerstörungsgesetz und birgt nicht nur fatale Umweltrisiken, sondern ist auch aus wirtschaftlicher Sicht ein Schuss ins eigene Knie: Die Genehmigungen, die das geplante Gesetz durch einen gesetzlichen Automatismus beschleunigen soll, werden in vielen Fällen nicht haltbar sein und erst recht zu langwierigen Rechtsprozessen und öffentlichen Querelen führen. Statt schlanker Prozesse bedeutet dies einen Bärendienst für Unternehmen und Gerichte“, sagt Mag. Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes.

Standortentwicklungsgesetz widerspricht in mehrfacher Weise grundlegenden Rechtsprinzipien
Der Entwurf sieht vor, sogenannte „standortrelevante Vorhaben“, denen das besondere Interesse der Republik Österreich bestätigt wurde, mittels eines Genehmigungsautomatismus im Schnellverfahren zu bewilligen. Große Bau- und Infrastrukturvorhaben, die nicht innerhalb der Frist eines Jahres zurück- oder abgewiesen wurden, sollen künftig automatisch als genehmigt gelten. Eine Prävention wesentlicher nachteiliger Auswirkungen auf Umwelt und Natur hebelt der Gesetzesentwurf damit weitestgehend aus. Fest steht: „Grotesker geht es kaum –  es gibt keine ernst zu nehmende Institution dieser Republik, die sich zustimmend oder wohlmeinend zu diesem Gesetzesentwurf geäußert hätte. Das ist der größte Gesetzesunfug der 2. Republik“, so Maier. Die Kritik des Umweltdachverbandes teilen auch zahlreiche namhafte RechtsexpertInnen. Zusätzlich zur umweltpolitischen Brisanz des Entwurfes stehen auch offensichtlich vorliegende Verstöße gegen Völker-, Unions- und Verfassungsrecht im Fokus.

„Das Standortentwicklungsgesetz widerspricht den leitenden Prinzipien der Bundesverfassung und dem Unionsrecht. Die automatische Genehmigung gerade von Vorhaben mit besonders großen Auswirkungen auf die Umwelt ist mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar und stellt eine unsachliche Bevorzugung solcher Projekte dar. Der de-facto-Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung ist europarechtswidrig. Außerdem wird durch das Gesetz auch das bundesstaatliche Prinzip unterlaufen“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger, Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Universität Innsbruck.

„Wie der Gesetzesentwurf mit dem Unions- und Verfassungsrecht in Europa, das effektiven Rechtsschutz verlangt (Artikel 6 der Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) und den Staat grundrechtlich zum Schutz vor Gesundheitsbeeinträchtigungen verpflichtet, vereinbar sein soll, ist mehr als fraglich. Hier schweigen die Erläuterungen. Es drängt sich daher der Verdacht auf, dass mit dem Entwurf ,Maximalwünsche‘ auf den Tisch gelegt und Konzessionen an rechtsstaatliche Erfordernisse erst auf Druck von Öffentlichkeit und Gerichten gemacht werden sollen“, sagt Prof.in Eva Schulev-Steindl, Institut für Öffentliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Universität Graz.

 „Der Entwurf des Standortentwicklungsgesetzes ist ein nicht hinnehmbarer Anschlag auf unsere Umwelt- und Rechtsschutzstandards. Das Argument, dass im bisherigen UVP-Regime zu viele Projekte verhindert und die Verfahren zu lange dauern würden, ist völlig haltlos. Tatsächlich enden nur drei Prozent aller UVP-Verfahren mit einer Ablehnung und ein weiteres Prozent mit einer Zurückweisung. Ab Vollständigkeit der Unterlagen bis zur Entscheidung der UVP-Behörde beträgt die Dauer der ordentlichen UVP-Verfahren im Schnitt nur 10,2 Monate. Hinter vorgeschützten Begründungen dieser Art wird auf dem Rücken der Rechtsstaatlichkeit ein unzulässiges Spiel gespielt, dessen Opfer wir alle wären“, erklärt MMag.a Liliana Dagostin, Leiterin der Abteilung Raumplanung und Naturschutz und Umweltrechtsexpertin im Österreichischen Alpenverein.

Rechtsschutz wird ausgehebelt – UWD fordert: Entwurf zurückziehen, Lösungen erarbeiten
In der heute abgegebenen Stellungnahme des Umweltdachverbandes und weiterer seiner Mitgliedsorganisationen an das Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) wird der Entwurf des Standortentwicklungsgesetzes in vollem Umfang dezidiert abgelehnt. „In Summe konterkariert der Entwurf sämtliche Bemühungen zum Beitrag und Erhalt eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt und hebelt den Rechtsschutz in einer nie dagewesenen Art und Weise aus. Will man Verfahren ernsthaft beschleunigen, müsste unter anderem die Einzelprojektebene durch strategische Umweltprüfungen entlastet, Amtssachverständige aufgestockt und Beteiligungsprozesse auf Augenhöhe geführt werden. Besonderes Augenmerk ist auch auf die Qualität der Einreichunterlagen zu legen, denn bis zur Auflagereife geht erfahrungsgemäß die meiste Zeit verloren. Hier kann ein klarerer Gesetzesrahmen, wie er nun in Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie mit der UVP-G Novelle 2018 kommen soll, verfahrensbeschleunigende Effekte bringen“, betont Dr.in Barbara Weichsel-Goby, Umweltrechtsexpertin im Umweltdachverband.

Stellungnahme des Umweltdachverbandes zum Entwurf eines Standortentwicklungsgesetzes

Link Begutachtungsverfahren und Stellungnahmen Standortentwicklungsgesetz: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/ME/ME_00067/index.shtml#tab-Stellungnahmen