EU-Renaturierungsgesetz am Beispiel Steiermark: Mammutaufgabe oder alles halb so wild?
- Umweltanwaltschaft, Umweltdachverband, Naturschutzbund und Alpenverein sprechen punkto Renaturierung Klartext: Rasche Umsetzung ist nötig und möglich
- Aus der Praxis: Bio-Landwirtin zeigt auf, wie Renaturierung erfolgreich gelingen kann
Graz, 10.07.24 (UWD) Das EU-Renaturierungsgesetz ist nach jahrelangen Verhandlungen beschlossene Sache. Gleichzeitig sorgt das Land Steiermark immer wieder für Schlagzeilen rund um das Thema erneuerbare Energien, die auf Kosten der Natur vorangetrieben werden sollen. „Diese Vorhaben machen deutlich, wie groß der Handlungsbedarf in Sachen Energiewende, Naturschutz und Raumordnung in Österreich ist. Das Nature Restoration Law kann eine naturverträgliche Energiewende erleichtern und als wichtiger Meilenstein des Naturschutzes wesentlich zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen beitragen“, betont Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes.
Renaturierungsgesetz als Chance nutzen
„Regelungen wie die kürzlich novellierte Renewable Energy Directive (RED III) stellen immer wieder Energiegroßprojekte, für die ein ,überragendes öffentliches Interesse` deklariert wird, über den Schutz der Natur. Fakt ist, dass Klimaschutz auf Kosten von Naturzerstörung nicht funktionieren kann und wird. Denn 24 % der CO2-Emissionen stammen weltweit aus degradierten oder zerstörten Ökosystemen. Genau deshalb ist der Beschluss des Renaturierungsgesetzes auch so wichtig. Die Auswirkungen des Klimawandels und Artensterbens sind mittlerweile überall spürbar, sichtbar und messbar – vor Augen geführt nicht zuletzt durch die massiven Hochwasserereignisse in den vergangenen Wochen. Das Renaturierungsgesetz bietet nun – insbesondere der Landwirtschaft – die Chance, auf einen naturverträglichen und damit nachhaltigen Weg einzuschwenken. Denn unser Wohlstand kann nur gesichert werden, wenn auch unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Für Österreich fordern wir daher, das EU-Gesetz praxisgerecht und wirkungsvoll in nationales Recht zu übersetzen, um der Natur endlich das zurückzugeben, was ihr über Jahrzehnte durch fortschreitende Versiegelung und intensive Nutzung der Landschaft genommen wurde“, so Maier.
Die Natur braucht Rechtsschutz
„Die Liste an naturzerstörenden Großprojekten in der Steiermark ist lang und reicht vom geplanten Ausbau der Wasserkraft an der Mur über flächenfressende touristische Widmungen bis hin zu Begehrlichkeiten, Photovoltaikfreiflächenanlagen auf naturschutzfachlich wichtigen Grenzertragsflächen zu errichten. Der Stopp des geplanten Pumpspeicherkraftwerks im Europaschutzgebiet Koralm hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, gegen solche Großprojekte rechtlich vorgehen zu können und der Natur eine Stimme zu geben, die noch viel zu oft überhört wird“, sagt Ute Pöllinger, Umweltanwältin des Landes Steiermark. „Tatsächlich ist die Landesumweltanwaltschaft (LUA) eine der letzten Instanzen, die auf Landesebene dem Wildwuchs solcher profitorientierter Vorhaben Einhalt gebieten kann. Es ist daher fatal, dass das Bundesland Salzburg versucht, den Handlungsspielraum der LUA einzuschränken, denn das hätte gravierende Folgen, insbesondere wenn es um den Zugang zu den Höchstgerichten geht. Anstelle einer Entmachtung brauchen wir eine verantwortungsvolle Politik, die den Umwelt- und Naturschutz stärkt, Verantwortung für das Wohl der Gesellschaft übernimmt und die LUA durch finanzielle und personelle Mittel aufwertet. Das Nature Restoration Law kommt hier gerade noch rechtzeitig, um die Politik in die Pflicht zu nehmen und daran zu erinnern, wie es um unsere Lebensgrundlagen bestellt ist. Denn ohne die Wiederherstellung und Bewahrung intakter Ökosysteme ist die Zukunft für nachfolgende Generationen auf diesem Planeten nicht mehr lebenswert“, so Pöllinger.
Renaturierung zum Schutz der Biodiversität
„Gerade in Zeiten der Klimakrise sind wir auf eine möglichst intakte Natur angewiesen. Doch der zunehmende Lebensraumverlust treibt die Biodiversitätskrise voran – auch in den Alpen, die eine einzigartige Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten beherbergen und für viele Menschen Lebensgrundlage und Lebensraum sind. Deshalb fördert der Alpenverein mit seinem Schwerpunkt ,RespektAmBerg` ein natur- und sozialverträgliches Miteinander gerade auch in den oberen Stockwerken der Bergnatur. Der Blick über den Tellerrand der eigenen Interessen hinaus und ein angepasstes Handeln werden damit vermittelt und gelebt. Auch im Bereich des Natur- und Landschaftsschutzes sowie bei sämtlichen Renaturierungsschritten fordern wir ein entsprechend umsichtiges Vorgehen – mit dem Ziel der Nachhaltigkeit und Naturverträglichkeit. Die Rücksichtnahme auf die Natur ist auch bei der Ausweisung neuer Vorrangzonen für den Ausbau der Windkraft in den Gebirgsregionen besonders wichtig, da hier erfolgreiche Renaturierung oftmals nicht möglich ist. Im Anwendungsbereich der Alpenkonvention braucht es deshalb allergrößte Zurückhaltung – und wir wollen als Alpenverein in die neue Zonierung eingebunden werden. Außerhalb der Vorrangzonen sprechen wir uns gegen neue Windindustrieanlagen aus. Für Wind- wie Wasserkraft gilt: Die Energiewende muss naturverträglich erfolgen. Der Ausbau der Erneuerbaren darf nicht zu Lasten von Natur und Landschaft gehen. Dem Alpenverein sind natürliche Lebens- und Erholungsräume besondere Anliegen. Dafür sind Naturschutz- und Renaturierungsmaßnahmen wesentlich und verbindliche Gesetze notwendig – auch zur Erhaltung der Biodiversität! Daher sehen wir das Renaturierungsgesetz als ,Gipfelsieg‘ für alpine Naturräume – auch, weil es u. a. Zielvorgaben für die Wiederherstellung der Bergnatur enthält, wo Eingriffe in die Natur besonders gravierend sind. Nur so können die krisenhaften Entwicklungen des Biodiversitätsverlustes und des Klimawandels eingedämmt werden“, betont Norbert Hafner, Vorsitzender des Alpenvereins, Landesverband Steiermark.
Naturzerstörung stoppen, Flächen für Renaturierung nutzen!
„Die Kleinwasserkraft ist nach wie vor ein Brennpunktthema. Allein in der Obersteiermark sind derzeit mindestens vier Kleinwasserkraftwerke geplant, drei an der Enns und eines in Schladming am Talbach – sie alle tragen massiv zur Naturzerstörung bei, die in keinem Verhältnis zum Nutzen steht: Die Grenze des ökologisch vertretbaren Wasserkraftausbaus ist längst erreicht. Statt auf Neubauten sollte die Landesregierung auf Sanierung und Energieeffizienz bei bestehenden Anlagen setzen – doch stattdessen hält die Politik die Füße still. In Zukunft kann das Renaturierungsgesetz helfen, einen Ausgleich zur Naturzerstörung der letzten 50 Jahre zu schaffen“, betont Karin Hochegger vom Naturschutzbund Steiermark. „Außerdem ist die Diskussion um Enteignungen und Ernährungssicherheit im Zusammenhang mit dem Renaturierungsgesetz an den Haaren herbeigezogen, denn die spannendsten Flächen, die sich für eine Renaturierung eignen, sind wirtschaftlich kaum nutzbar: Es gibt in der Steiermark nicht landwirtschaftlich genutzte Flächen an entwässerten Hochmooren, die sich hervorragend für Renaturierungsprojekte eignen würden. Denn intakte Moore und andere Feuchtgebiete sind aktive Klimaretter (eine 15 Zentimeter dicke Torfschicht enthält auf gleicher Fläche so viel Kohlenstoff wie ein 100-jähriger Wald). Außerdem hat der Naturschutzbund erst kürzlich 10 Hektar Moorflächen gekauft – was es braucht, ist Geld für die Umsetzung und Pflege. Nicht zuletzt kann das NRL auch Anlass dafür sein, z. B. durch die Errichtung von Randstrukturen einen Biotop-Verbund zu errichten und durch die Zusammenführung von Flächen, Strukturen und Grünstreifen die Biodiversität zu erhöhen. Zurzeit fühlen wir uns noch von der Politik im Stich gelassen, das Nature Restoration Law könnte das ändern“, so Hochegger.
Gemeinsam im konstruktiven Dialog
„In unserem ökologischen Mutterkuh-Betrieb pflegen wir artenreiche Hutweiden, um wertvollen Lebensraum zu erhalten, betreuen ein kleines Moor, u. a. für die selten gewordenen Gelbbauchunken, und wollen in Zukunft unsere 5 Hektar große Waldfläche klimafit machen. Doch all diese Maßnahmen kosten Geld, unter Kolleg:innen bin ich immer noch das exotische Zebra im Tierpark. Auch, wenn für mich nur noch diese Art des Wirtschaftens in Frage kommt, kann ich die Bedenken der anderen nachvollziehen. Daher ist es wichtig und richtig, nicht zu polarisieren, sondern sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und Lösungen zu erarbeiten. Wir sind sehr froh darüber, dass das Renaturierungsgesetz nun endlich beschlossen wurde, weil es uns hoffen lässt, dass immer mehr Betriebe mitziehen, wir Synergien nutzen und Kooperationen aufbauen können, um die Landwirtschaft in einem ganzheitlichen Ansatz nachhaltig umzugestalten“, sagt Johanna Marchner-Pichler, Bio-Landwirtin und Biodiversitätsbotschafterin von „Farming for nature Österreich“.
Umweltdachverband: Eckpunkte einer naturverträglichen Energiewende in der Steiermark
- Umsetzung eines Energiespar- und Effizienzprogrammes für Wirtschaft, Handel, öffentliche Hand und Haushalte: Aktivitäten, Projekte oder Förderungen zum Energiesparen und zur Steigerung der Energieeffizienz
- Entwicklung und Umsetzung eines Steirischen Renaturierungsprogrammes 2030 insbesondere für Moore, Feuchtgebiete und Wälder zur CO2-Speicherung
- Repowering vor Neubau bei Wind- und Wasserkraft
- Sonnenstrom: Nachschärfung der Freiflächen-Verordnung: Auf 36 vom Land Steiermark ausgewiesenen PV-Vorrangzonen mit insgesamt knapp 780 Hektar Fläche produzieren lediglich drei Photovoltaikanlagen Sonnenstrom.
- Massive Priorisierung der Photovoltaik-Nutzung auf verbauten Flächen (Dächer, Gewerbe- und Industriegebiete, öffentliche Gebäude, Parkplätze, Deponien etc.)
- Sofortprogramm zur Schaffung von neuen Kapazitäten für die Einspeisung von Photovoltaik-Strom (Netz und Speicher)