Konferenznachlese „Mainstreaming Biodiversität – Unsere Natur gemeinsam schützen“

Viele wissen, dass dem Klima jedes Jahr eine internationale Konferenz gewidmet wird, nämlich die sogenannte COP (Conference of the Parties), deren 21. Sitzung mit dem Paris-Abkommen verabschiedet wurde und deren 22. Sitzung von 7. bis 18. November 2016 in Marrakesch stattfand. Aber nur die Wenigsten wissen, dass auch zur Biodiversität COPs abgehalten werden - die Vertragsstaatenkonferenzen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt. Die 13. Sitzung der Biodiversitäts-COP fand bis Anfang Dezember 2016 in Cancun (Mexico) unter Beteiligung von 196 Vertragsstaaten statt. Die geringe Sichtbarkeit zeugt von der mangelnden Aufmerksamkeit für den Verlust der Vielfalt des Lebens, deren Konsequenzen für Mensch und Wirtschaft genauso alarmierend wie der Klimawandel sind.

Wie gelingt es, dass Biodiversität Mainstream wird? Diese Frage, ein zentraler Punkt auf der Agenda der COP13, wurde im Vorfeld auch in Österreich bei der hochkarätigen Tagung des Umweltdachverbandes, die in Kooperation mit dem BMLFUW durchgeführt wurde,  am 29. November 2016 in Wien unter dem Titel „Mainstreaming Biodiversität – Unsere Natur gemeinsam schützen“ diskutiert. Rund 140 TeilnehmerInnen aus den Bereichen Wirtschaft, Gesundheit, Raumplanung, Land- und Forstwirtschaft, Wissenschaft, Handel und Naturschutz tauschten sich zu Ansätzen des sekorenübergreifenden Schutzes unserer wertvollsten natürlichen Ressource – der Biodiversität – aus. Moderatorin Sonja Bettel (Ö1) führte durch den Tag.

Im Rahmen der Auftaktdiskussion „Little Cancun 2016“ wurde mit den Podiumsgästen über Möglichkeiten und Herausforderungen der Integration von Biodiversitätsschutz in unterschiedliche Sektoren in Österreich diskutiert. Die Rolle Österreichs als Vertragspartei sieht Harald Egerer (UNEP) in der Umsetzung der Biodiversitätskonvention auf nationaler Ebene – Österreich kann sich international positionieren, indem es hier anstrebt, Modell zu sein. Wolfram Tertschnig (BMLFUW) führt die transparente und partizipative Erarbeitung der nationalen Biodiversitätsstrategie 2020+ als Vorbild der „good governance“ an, in der es gelungen ist, einen Schulterschluss aller Beteiligten für eine gemeinsame Strategie zu erzielen. Generell gilt es, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Aus seiner Sicht sind politische Zugeständnisse der politisch Verantwortlichen aus anderen Sektoren notwendig. Insbesondere Flächenwidmung und Raumplanung müssen in Österreich auch in Zusammenhang mit Biodiversität diskutiert werden. „You cannot manage what you do not measure“ ist für Tertschnig Leitsatz zur effektiven Umsetzung der Biodiversitätsstrategie 2020+. Eine laufende Überprüfung des Umsetzungsfortschritts und entsprechende Verbesserungen sind, wo nötig, essenziell.

 

„Trojanisches Pferd“ vs. offensiver Ansatz

Laut Stefan Schleicher (Wegener Center, Karl-Franzens-Universität Graz) ist es gelungen, das Thema Klimawandel breit in Politik und Öffentlichkeit zu verankern, da andere Themen im Hintergrund als Treiber wirkten (etwa für die EU die Verletzlichkeit durch Abhängigkeit von der Energieversorgung). Eine mögliche Erfolgsstrategie wäre dementsprechend für Biodiversität ebenfalls ein „trojanisches Pferd“ zu finden, durch das breiteres Bewusstsein geschaffen wird. Dieser Ansatz wird in der Diskussion aber auch kritisch gesehen: Das Thema Biodiversität muss aus der defensiven Ecke herausgeholt werden, es soll keine „hidden agenda“ sein, sondern ist als zentral in der Debatte um Gemeinwohl zu behandeln, so Tertschnig. Es gilt, Biodiversitätsschutz nicht aus einem ethisch-moralischen Anspruch zu transportieren, sondern darauf hinzuweisen, dass funktionierende Biodiversität auch für den Wirtschaftsstandort Österreich eine zentrale Funktion hat – der Tourismus hängt etwa zentral an der Qualität der Kulturlandschaft und des Lebensraumes. Die Debatte soll daher positiver konnotiert werden.

 

Spannungsfeld Landwirtschaft

Josef Plank (Landwirtschaftskammer Österreich) geht auf das starke Spannungsfeld ein, in dem sich die Landwirtschaft aus seiner Sicht in der Diskussion befindet: Vor dem Hintergrund, sich einerseits zu einer vielfältigen Umwelt und Landschaft zu bekennen und Verantwortung zu übernehmen und andererseits davon leben zu müssen, gilt es einen Weg zu finden. Das österreichische Programm für eine umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL) sieht er als eine zentrale Maßnahme, die auch europaweit „herzeigbar“ ist. Herausforderung für die nächste Programmperiode wird es aber sein, das Programm in Richtung Pragmatismus und weg von überbordender Bürokratie zu steuern, um zu erreichen, dass es LandwirtInnen weiter mittragen. Er weist auch darauf hin, dass AkteurInnen in der Landwirtschaft häufig das Gefühl haben, dass die Landwirtschaft einseitig als Treiber für Biodiversitätsverlust verantwortlich gemacht wird und zu wenig auf andere Faktoren wie Klimawandel eingegangen wird, der für die Zukunft der Landwirtschaft eine große Unsicherheit darstellt. Eine objektivere Diskussion ist daher aus seiner Sicht anzustreben.

 

Von Minderheitenprogramm zu Mainstream

Ein weiterer wichtiger Punkt in der Diskussion ist, wie ökonomischer Nutzen und Bewusstsein für Biodiversität verknüpft und Unternehmen an Bord geholt werden können. Laut Christoph Haller (Wirtschaftskammer Österreich) ist Biodiversität derzeit noch ein „Minderheitenprogramm“. Unternehmen verbinden eher negative Aspekte mit dem Thema, wie Mehraufwand durch Genehmigungsverfahren. Diesem Ruf gilt es zu begegnen und neue Ansätze zu schaffen, etwa Biodiversität in Form von CSR-Maßnahmen in Unternehmen zu integrieren. Bei Strategien für Kooperationen muss auch bedacht werden, dass die Hauptmotivation für Unternehmen, Biodiversitätsmaßnahmen zu fördern, eine ökonomische ist. Diesbezüglich müssen Anreize geschaffen werden.

 

Bekenntnis zu zeitgemäßen Zielsetzungen

Franz Maier (Umweltdachverband) sieht das Agrarumweltprogramm an sich vorbildlich hinsichtlich Integration, auch wenn es Defizite in der Umsetzung und die Problematik des damit verbundenen „Bürokratiemonsters“ gibt. Mit dem UVP-Regime wurde ebenfalls gemeinsam ein Genehmigungsinstrument geschaffen, das Umwelt- und Naturschutzaspekte integriert und wesentlich für die Qualitätssicherung ist. Prinzipiell gilt es für Maier die „Megathemen“ Klima- und Biodiversitätsschutz zu verbinden: Klimawandel hat einerseits negative Auswirkungen auf Biodiversität, andererseits gibt es auch Zielkonflikte mit Klimaschutzmaßnahmen – etwa durch den „Wildwuchs“ von Kleinwasserkraftwerken. Zielsetzungen hinsichtlich Endausbaugrenzen und die Ausweisung von No-Go Areas bezüglich Wind- und Wasserkraft sind aus seiner Sicht wesentlich, um Zielkonflikte von vornherein auszuschließen. Vor dem Hintergrund des noch immer steigenden Energieverbrauchs in Österreich muss es laut Maier in der derzeit laufenden Ausarbeitung der Klima- und Energiestrategie ein klares Bekenntnis zu diesen Zielen geben, um aktuellen und zukünftigen Herausforderungen Rechnung zu tragen und eine zukunftsfähige Entwicklung zu ermöglichen.

 

Keynote Tony Juniper: „Wir sind zu 100 % abhängig von gesunden Ökosystemen“

„Es ist an der Zeit, dass der Schutz der Natur und der Biodiversität nicht mehr nur Aufgabe der NaturschützerInnen ist, sondern auch eine wesentliche Aufgabe von Unternehmen und Regierungen. Unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft sind zu 100 % abhängig von gesunden Ökosystemen. Je mehr wir diese wertvollen Ressourcen zerstören, desto stärker gefährden wir uns selbst. Wir müssen daher dringend den Schutz und die Wiederherstellung der Natur in alle wirtschaftlichen Sektoren sowie alle politischen Bereiche integrieren!“, lautet die zentrale Botschaft des britischen Campaigners, Autors und Nachhaltigkeitsberaters, Tony Juniper. Im Rahmen seines spannenden Vortrags konnte er anhand anschaulicher Beispiele, wie etwa die Rolle der Bodenfauna, des Geiers in Australien oder des tropischen Regenwaldes, die TeilnehmerInnen von der Bedeutung der Biodiversität für die Gesellschaft und Wirtschaft überzeugen. Sein Bestseller-Buch „What Nature has ever done for us – Why money does really grow on trees“ (bis jetzt nur auf Englisch, Chinesisch und Koreanisch erhältlich) vermittelt in Form spannender Geschichten, warum wir uns Natur leisten müssen. Laut Tony Juniper gehört das „Storytelling“ zu einem der wichtigsten Instrumente, um die Dringlichkeit des Biodiversitätsschutzes zu transportieren und Maßnahmen voranzutreiben. Nur durch das Erzählen von Geschichten können Emotionen geweckt und die Menschen zum Handeln bewegt werden. Sein Appell an die TeilnehmerInnen lautet daher: „Sammeln Sie Geschichten zu Biodiversität aus Österreich und gehen Sie mit positiven Botschaften hinaus! So kann man die breite Öffentlichkeit erreichen!“

 

Austausch und Kommunikation als Schlüssel zum Erfolg

Am Nachmittag wurden im Rahmen von drei thematischen Panels erfolgreiche Initiativen zur Verankerung von Biodiversität in der Gesellschaft, zur nachhaltigen Nutzung von Biodiversität und zur Reduzierung von Belastungen auf die Biodiversität präsentiert. Diese vielfältigen Beispiele – etwa aus dem Bereich Gesundheit, Infrastruktur, Verwaltung, Handel oder Tourismus – zeugen davon, dass es möglich und sinnvoll ist, sich für Biodiversitätsschutz zu engagieren. In den anschließenden Paneldiskussionen wurden von den TeilnehmerInnen Ideen gesammelt, wie sich Biodiversität besser in der Gesellschaft verankern lässt und zum Mainstream werden kann. Als wesentliche Hürden zur Erreichung von Biodiversitätszielen wurden in allen Panels fehlende Wissensvermittlung, ein Kommunikationsdefizit zwischen Stakeholdern und der geringe Stellenwert von Biodiversität in anderen Sektoren genannt. Bei der Frage, was es braucht, um den sektorenübergreifenden Biodiversitätsschutz voranzutreiben, sind sich die TeilnehmerInnen einig: Laufende Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sind der Schlüssel zum Erfolg!

Download der Vorträge

Dokumentation der Panels

Abschlussdiskussion: Zusammenhalt für die Zukunft unserer Lebensgrundlage

Zurück im Plenum konnten die drei RapporteurInnen der Panels Peter Kranner (BMGF), Martin Längauer (Landwirtschaftskammer Österreich) und Elke Hahn (BMVIT) über die Essenzen der Panels berichten: Es werden schon viele Aktivitäten durchgeführt, die zum Mainstreaming von Biodiversität beitragen. Es gibt heute viel mehr verbindende Worte zwischen den Stakeholdergruppen als früher, Kommunikation und Bewusstseinsbildung ist nach wie vor notwendig, so Längauer. Die Bundesländer, die für Naturschutz, aber auch Raumplanung zuständig sind, bemühen sich, auch den Biodiversitätsschutz in die anderen Sektoren zu integrieren, so Hermann Hinterstoisser (Amt für die Salzburger Landesregierung), sowohl über hoheitliche Maßnahmen als auch direkt auf der Fläche. Für die Anknüpfung an den Gesundheitssektor ist das Rahmengesundheitsziel 4, das die nachhaltige Gestaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zum Inhalt hat, wesentlich. Dazu wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, so Kranner, in welche auch die im Rahmen der Veranstaltung diskutierten Aspekte hineingetragen werden. Elke Hahn betont die Notwendigkeit einer strategischen Raumplanung unter Einbeziehung aller Betroffenen Stakeholder, wie z. B. bei der Errichtung von Grünbrücken. Gerald Pfiffinger (BirdLife) spricht die Herausforderung der Finanzierung des Biodiversitätsschutzes an. Es ist an der Zeit, neue Konzepte zu erfinden; der Finanzierungsbedarf kann über die Mittel der Ländlichen Entwicklung nicht abgedeckt werden. Die DiskutantInnen – egal ob alteingesessen oder neu in der Szene des Biodiversitätsschutzes – sind sich einig: Die Basis für die Zukunft der Naturschätze lautet Zusammenhalt. Denn nur gemeinsam und mit großem Verantwortungsbewusstsein wird es gelingen, den biologischen Reichtum auf Dauer zu sichern. Wie es gehen kann, schildert Michael Proschek-Hauptmann (Umweltdachverband) mit der Vorstellung von 13 Forderungen zum sektorenübergreifenden Schutz der Biodiversität in Österreich.

 

Ab nach Cancun!

Zum Abschluss der Konferenz hebt Gabriele Obermayr (BMLFUW) die bereits existierenden und im Rahmen der Konferenz präsentierten vielfältigen Ansätze zur Förderung der Biodiversität hervor. Neben der konsequenten Umsetzung der Biodiversitätsstrategie, der Waldstrategie, der FFH-Richtlinie und der Neobiota-Verordnung, muss es auch gelingen, bisher noch nicht angesprochene Sektoren – wie Handel und Industrie – ins Boot zu holen. Es ist an der Zeit, Biodiversität aus der Natur- und Umweltschutzecke herauszuholen und zu einem gesamtgesellschaftlichen Wert zu machen. Dazu braucht es Willen, Mut, Ehrlichkeit und Offenheit, so Obermayr. Mit diesen Werten im Gepäck ging die Reise nach Cancun los,  um auf internationaler Ebene das Mainstreaming von Biodiversität voranzutreiben. Als ein Ergebnis der 13. Vertragsstaatenkonferenz wurde die „Cancun Declaration“ zum Mainstreaming von Biodiversitätsschutz und nachhaltiger Nutzung verabschiedet.

 

Die Durchführung der Tagung erfolgte im Rahmen des Projekts „BIO.DIV.NOW“, welches vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft und der EU gefördert wird.

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