Nachlese zur Schutzgebietstagung 2019
„Grenzertragsflächen – Perspektiven für Bewirtschaftung und Inwertsetzung“
Grenzertragsflächen sind Flächen des extensiven Grünlands, deren Bewirtschaftung aufgrund ihres flachgründigen Bodens oder ihrer Steilheit einen sehr hohen Aufwand bedeutet, sodass sie oft nicht mehr genutzt werden und brachliegen. Es sind Flächen, die großes Potenzial für die Biodiversität haben und die mit geeigneter Bewirtschaftung und innovativen Inwertsetzungsansätzen sowohl naturschutzfachlich als auch wirtschaftlich aufgewertet werden können. Diese Grenzertragsflächen stellen BewirtschafterInnen und SchutzgebietsbetreuerInnen vor die große Herausforderung Naturschutz und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut zu bringen. Am 20. März 2019 fanden sich mehr als 75 TeilnehmerInnen im OÖ Kulturquartier in Linz ein, um sich zu Chancen und Herausforderungen für die Bewirtschaftung und die Inwertsetzung dieser immer seltener werdenden und stark gefährdeten Flächen auszutauschen. Das Publikum setzte sich aus SchutzgebietsbetreuerInnen, Land- und ForstwirtInnen, VertreterInnen der Länder und Interessensvertretungen zusammen und brachte unterschiedliche Sichtweisen und Standpunkte in die Diskussion ein.
Das Programm zur Veranstaltung finden Sie hier.
Der erste Themenblock am Vormittag widmete sich der Erhaltung von Grenzertragsflächen durch besondere Bewirtschaftungsmethoden. Mathilde Stallegger (Umweltdachverband) eröffnete die Veranstaltung mit einleitenden Worten und übergab anschließend an Moderator Michael Jungmeier (E.C.O.), der das Publikum durch das Programm führte. Inhaltlich begann Walter Starz (HBLFA Raumberg-Gumpenstein) mit einem Impuls zum „abgestuften Wiesenbau“ als Chance für die Artenvielfalt auf Grenzertragsflächen. Bei dieser Methode geht es um die Bewirtschaftung der Grünlandflächen innerhalb eines Betriebes mit unterschiedlicher Intensität, wodurch sich die Möglichkeit bietet, Düngung auf ertragsbetonte Flächen zu konzentrieren und damit passende Pflanzenbestände sowohl in intensiv als auch in extensiv bewirtschafteten Bereichen zu entwickeln und zu erhalten. Gleichzeitig können durch diese Bewirtschaftungsmethode hohe Grünfutterqualität – was zu einer Reduktion des Kraftfuttereinsatzes führt – und gesamtbetrieblich hohe Biodiversität geschaffen werden. Mit einem Bericht aus der selbst gelebten Praxis setzte Landwirtin Thekla Raffezeder (Theklasien) fort und referierte über ihre schonende Bewirtschaftung im Rahmen des Ergebnisorientierten Naturschutzplans im Natura-2000-Gebiet „Oberes Donau- und Aschachtal“. Dabei verwies sie auf die eigene Entscheidungsfreiheit, wann welche Maßnahme (z. B. ein Schnitt) umgesetzt werden soll und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der OÖ Naturschutzabteilung und dem ÖKL. Solange Grenzertragsflächen bewirtschaftet werden, ergeben sich daraus auch Vorteile für die Biodiversität. Alarmierend wird es, sobald die Bewirtschaftung eingestellt wird. Eine Möglichkeit, wie dem Verlust wertvoller Wiesen und Steilflächen entgegengetreten werden kann, zeigte Alois Gaderer – Landwirt am Irrsee – mit der Gründung einer Pflegegenossenschaft vor. Mit zwei von der Naturschutzabteilung des Landes OÖ zur Verfügung gestellten Maschinen kümmern sich Alois Gaderer und viele weitere LandwirtInnen der Region seit Jahren um die Mahd von extensiven Wiesen als Beitrag für die Erhaltung des Landschaftsbildes. Alois Gaderer betonte die Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit von Naturschutz und Landwirtschaft, um auch zukünftig die Sicherstellung der durchgeführten Pflegemaßnahmen zu gewährleisten. Brigitte Gerger (Verein BERTA) beschloss die erste Impulsvortragsreihe mit der Vorstellung von „Schafaktien“, die bei der Entwicklung eines Beweidungsprojekts im Naturpark Weinidylle im Südburgenland von entscheidender Bedeutung waren. Mit der Erstellung von Weidelammanteilscheinen („Schafaktien“) konnte die Vermarktung von Schaffleisch unterstützt werden und somit eine dauerhafte Beweidung von kleinteiligen Magerrasen und Steilflächen gesichert sowie das finanzielle Auskommen des Landwirts ermöglicht werden.
Nach einer kurzen Pause startete die Podiumsdiskussion zu Landschaftspflegeverbänden als Chance für die Erhaltung von extensivem Grünland. Beate Krettinger, Landeskoordinatorin in Bayern für den Deutschen Verband für Landschaftspflege erzählte vom umgesetzten System der Drittelparität, bei dem Naturschutz, Landwirtschaft und Kommunen als gleichgestellte Partner für die Organisation von Pflegeverbänden verantwortlich sind. Dabei sei es entscheidend, dass Pflegeverbände von der Basis aufgebaut werden und nicht hoheitlich institutionalisiert werden. Eine vereinheitlichte Struktur sei vorteilhaft und dazu sollten auch die Gemeinden in Österreich mehr in die Verantwortung genommen werden. Alois Gaderer glaubt an die Arbeit von Pflegevereinen, die sich für eine Erhaltung des Landschaftsbildes einsetzen, vorausgesetzt ihnen werden das nötige Vertrauen und Wertschätzung für ihre Arbeit entgegengebracht. Entscheidend dabei sei neben der maschinellen Ausrüstung auch, dass LandwirtInnen auf Kreislaufwirtschaft setzen und die Bewirtschaftungsform an die natürlichen Gegebenheiten angepasst wird. Gerald Pfiffinger, Umweltdachverband, teilte seine persönlichen Erfahrungen aus der Arbeit in einem lokalen Pflegeverein und der Erhaltung der letzten wertvollen Flecken durch engagierte HelferInnen. Seine Vision eines mit der Landwirtschaftskammer organisierten Pflegeverbandes in Österreich soll, mit gewissenhafterer Planung des Grünraumes, zur Erhaltung der Landschaft führen, die auch für den Tourismus von entscheidender Bedeutung ist. Josef Forstinger vom Amt der OÖ Naturschutzabteilung betonte die Diversität der Strukturen von bereits bestehenden Pflegevereinen in OÖ und die Herausforderung, ein für ganz Österreich passendes Modell umzusetzen. Von Bedeutung für den Erfolg eines Pflegeverbandes seien die regionale Verankerung und die Offenheit, mit verschiedenen Interessengruppen zu sprechen. Die Einbindung von Gemeinden, die sich mehr mit Landschaftsleitbildern und Naturschutz beschäftigen könnten, soll über Bildung und Bewusstseinsbildung gelingen. Brigitte Gerger sieht vor allem ein Problem bei der Pflege von kleinen Arealen, da sich für größere Flächen durchaus BewirtschafterInnen finden ließen. Wie es gelingen kann, möglichst viele Menschen zu erreichen, wurde mit dem Weidelammfest im Südburgenland gezeigt, bei dem die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit über den Gaumen gewonnen wurde. Aufgrund der oftmals projektgebundenen und somit nicht dauerhaften Gebietsbetreuung kann nachhaltige Landschaftspflege nur über LandwirtInnen erfolgen, die durch Strukturen und Organisationen unterstützt werden können.
Nach der Mittagspause startete der zweite Themenblock, der die Erhaltung von Grenzertragsflächen durch die Inwertsetzung der landwirtschaftlichen Pflege zum Thema hatte. Dazu berichtete Tanja Moser, Landwirtin aus Vorarlberg, über ihre Art der Ziegen- und Rinderhaltung auf extrem steilen Wiesenflächen. Durch diese jahrelang praktizierte Bewirtschaftung konnte sich ein Artenreichtum innerhalb der Wiesenpflanzen etablieren, was ihr bereits mehrmals den Gewinn der Wiesenmeisterschaften in Vorarlberg einbrachte. Die Veredelung ihrer ertragsarmen Flächen übernehmen ihre Ziegen, welche ihr auch wertvolle Wolle liefern. Gemeinsam mit der Firma Zotter wurde eine Heuschokolade entwickelt, zu der Frau Moser sorgfältig erlesene Wiesenkräuter ihrer Flächen beisteuert. Dietmar Rossmann (Biosphärenpark Nockberge) und Landwirt Franz Gruber referierten über die Wertschöpfung von Almheu im Biosphärenpark Nockberge. Franz Gruber hat sich mit seinen steilen Almflächen in Zusammenarbeit mit dem Biosphärenpark auf die Entwicklung verschiedenster Heuprodukte spezialisiert (Heublumenbad, Heublumenkissen, Heublumenschnaps, etc.). Aufgrund des Erlasses einer Regelung durch das Gesundheitsministerium 2016, wonach Heu nicht als Lebensmittel einzustufen sei, dürfen in Kärnten einige seiner Produkte wie der Heublumenschnaps leider nicht mehr vermarktet werden, was ihn vor einer neuen Herausforderung stellt.
Den Abschluss der zweiten Impulsvortragsreihe lieferte Alois Wilfling (OIKOS) mit der Vorstellung des Projekts AGRI-COLA, das innovative Naturnutzung in den Naturparken der Steiermark umsetzt. Ziel des Projekts war es, einen Dialog zwischen Naturparken und BäuerInnen zu schaffen und Bauernhöfe als Innovationslaboratorien für Nischenprodukte zu unterstützen. Insgesamt konnten im Projekt 222 Einzelideen/-projekte, wie beispielsweise Latwergen (Fruchtgummis aus Feuchtwiesen), gefüllte Brombeerblätter oder ein CO2-neutrales Reisebüro, das „Lupenreisen“ anbietet, ausgearbeitet werden.
- Download Präsentation Tanja Moser
- Download Präsentation Franz Gruber & Dietmar Rossmann
- Download Präsentation Alois Wilfling
Im letzten Teil wurden im Rahmen einer „kollegialen Fallberatung“ ausgewählte Fallbeispiele in Zusammenhang mit der Bewirtschaftung und Inwertsetzung der Grenzertragsflächen in Kleingruppen diskutiert. Bei dieser Methode suchen beruflich Gleichgestellte gemeinsam nach Lösungen für ein konkretes Problem. Der/Die „FallgeberIn“ schildert den „BeraterInnen“ die Situation und lässt sich von diesen unterstützen. Ein bereichernder Austausch für alle TeilnehmerInnen! Aus Datenschutzgründen werden die Ergebnisse der kollegialen Fallberatung nicht veröffentlicht.
Im Anschluss an die Schutzgebietstagung 2019 fand am 21. März der dritte von vier Workshops für SchutzgebietsbetreuerInnen zum Thema „Biodiversität ist markenfähig! Potenziale, Bedeutung und Werte von Naturschutz sichtbar machen“ mit der Markenexpertin Angelika Sery-Froschauer statt.
Fotogalerie
(alle Fotos © Umweltdachverband)