Umweltdachverband & ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung fordern: Gerichtszugang für NGOs in Umweltverfahren endlich umsetzen!

  • Elf Jahre nach Ratifizierung der Aarhus-Konvention durch Österreich steht die vollständige Umsetzung immer noch aus
  • EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich läuft – Alpenrepublik wieder einmal Schlusslicht bei der Umsetzung europäischer Umweltvorgaben
  • Wirtschaftskammer blockiert mit ihrem Widerstand Rechtssicherheit in Genehmigungsverfahren für Projekte

Wien, 18.01.16 (UWD) Die Aarhus-Konvention – der erste völkerrechtliche Vertrag, welcher der Öffentlichkeit umfangreiche Rechte im Umweltschutz zuschreibt – wurde am 17. Jänner 2005 von Österreich ratifiziert. Im Zentrum der Konvention stehen das Recht auf Umweltinformation, die Möglichkeit der Beteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren und der Gerichtszugang für Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit in umweltrechtlichen Angelegenheiten.

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© Umweltdachverband

„Augen zu-Politik“ blockiert Nachbesserung beim Gerichtszugang der Öffentlichkeit
„Allerdings lässt insbesondere die Umsetzung des in Artikel 9 festgeschriebenen Gerichtszuganges der Öffentlichkeit in Österreich noch auf sich warten – sehr zum Nachteil von Umwelt-NGOs und BürgerInneninitiativen. In der Praxis bedeutet dies, dass beispielsweise Bauprojekte ohne UVP-Verfahren, welche trotzdem negative Auswirkungen auf die Umwelt haben können – z. B. Kleinwasserkraftwerke an sensiblen Gewässern und Windräder in Waldgebieten –, von der Öffentlichkeit nicht zur Überprüfung durch unabhängige Gerichte herangetragen werden können“, erklärt Michael Proschek-Hauptmann, Geschäftsführer des Umweltdachverbandes. „Trotz des anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission und des Bekenntnisses zu Good Governance, verstärkter Transparenz und Partizipation im Regierungsprogramm wird eine regelrechte ‚Augen zu-Politik‘ verfolgt. Jegliche legistische Nachbesserung von Rechten der Öffentlichkeit auf Zugang zu Gerichten wurde bis dato verabsäumt. Die Verantwortung für die Umsetzung wird hartnäckig zwischen Legislative und Judikative hin und her gespielt. Ein erster Anlauf zur Nachbesserung von Beteiligungsrechten in der Abfallwirtschaftsgesetz-Novelle 2015 wurde seitens der Wirtschaftskammer blockiert. Es ist empörend, dass in einem Rechtsstaat wie Österreich die rechtlich gebotene Umsetzung einer internationalen Konvention, zu der sich das offizielle Österreich im Ratifikationsweg bereits vor elf Jahren(!) bekannt hat, auf Grund des Widerstandes einer Interessengruppe nicht vollzogen wird und Österreich mittlerweile zu den Schlusslichtern der Aarhus-Umsetzung in der EU zählt“, betont Proschek-Hauptmann.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich – legistische Nachbesserungen stehen aus
„Bereits im März 2010 reichte das ÖKOBÜRO wegen der mangelhaften Umsetzung der Aarhus-Konvention in Österreich Beschwerde beim Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC) ein“, so ÖKOBÜRO-Geschäftsführer Thomas Alge. Im Dezember 2011 erkannte das ACCC daraufhin, dass die restriktive österreichische Rechtslage Umwelt-NGOs die Anfechtung von umweltrechtswidrigen Handlungen und Unterlassungen verwehre und Österreich somit die Anforderungen von Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention nicht erfülle. „Da die geforderten legistischen Nachbesserungen nicht getroffen wurden, brachte die EU-Kommission im Sommer 2014 schließlich ein Aarhus-Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich ein. Darin wirft sie Österreich mangelhaften Gerichtszugang in Umweltangelegenheiten für Mitglieder der Öffentlichkeit im Anwendungsbereich der FFH-, der Wasserrahmen-, der Luftqualitäts- und der Abfallrahmenrichtlinie vor. Sehr zu Recht, denn bisher ist der Zugang im Wesentlichen nur in UVP-, IPPC- und Umwelthaftungsverfahren umgesetzt“, konstatiert Alge.

Aarhus-Konvention ist Schlüssel für akzeptablere und umweltverträglichere Projekte
Dass die Umsetzung der Aarhus-Konvention bis dato noch nicht erfolgt ist, liegt also nicht zuletzt auch an der Wirtschaft. Denn insbesondere von ihrer Seite werden immer wieder Stimmen gegen die Öffnung von umweltrechtlichen Verfahren laut: Die Wirtschaft befürchtet eine drohende Verfahrensflut, die zeitliche Verzögerung von Genehmigungsverfahren und einen Anstieg der Verfahrenskosten. Dass sich all dies in der Praxis nicht bestätigt, zeigt das Paradebeispiel umfassender Öffentlichkeitsbeteiligung – die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Weder gab es hier eine Klagsflut durch NGOs (nur 13 Beschwerden gegen negative UVP-Feststellungsbescheide in den drei Jahren seit Einführung der Beschwerdemöglichkeit), noch ist der Anteil abgelehnter Vorhaben hoch (3 %). Die Verfahrensdauer ist seit 2009 sogar leicht zurückgegangen. Schließlich bringen UVP-Verfahren verglichen mit üblichen Genehmigungsverfahren oft sogar eine Kostenersparnis für ProjektwerberInnen, da ein einziger Genehmigungsbescheid eine Vielzahl gesonderter Bewilligungen ersetzt. Barbara Goby, Umweltrechtsexpertin des Umweltdachverbandes sieht in der vollständigen Umsetzung von Artikel 9 eine Chance für alle Seiten: „Anstatt Ängste vor Verzögerungen und Verfahrensflut zu schüren, sollte die Aarhus-Konvention vielmehr als Schlüssel dazu gesehen werden, bessere, akzeptablere und umweltverträglichere Projekte zu gewährleisten. Insgesamt sprechen Transparenz, Verbesserung der Verfahrensqualität und gesteigerte Akzeptanz des Projektes als Hauptvorteile einer Öffnung der Verfahren für die Öffentlichkeit für sich. Eine diesbezügliche legistische Nachbesserung ist dringendst geboten, um endlich Rechtssicherheit zu schaffen – nicht zuletzt auch im Interesse der ProjektwerberInnen“.

Nicht-Umsetzung der Aarhus-Konvention als „Hemmschuh“ für die Praxis
„Die derzeitige Rechtslage ist für Umweltorganisationen mehr als unbefriedigend, denn in der Masse der Umweltverfahren besteht für diese wichtige Interessengruppe zum Schutz der Umwelt formalrechtlich kein Gerichtszugang“, so Christoph Walder, WWF Programmleiter Alpenflüsse. Umwelt-NGOs können etwa in Genehmigungsverfahren für Wasserkraftwerke, die unter den Schwellenwerten für eine UVP liegen, keinen Rechtsschutz erlangen. „Wir verbuchen es daher als einen großen Teilerfolg, dass der Fall des Tiroler Kraftwerkes Tumpen-Habichen nunmehr vom Verwaltungsgerichtshof zumindest dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde. Denn der Bau dieses Kraftwerks an der Ötztaler Ache, welches mit einer Leistung von 14,48 MW nur äußerst knapp unter der UVP-Schwelle von 15 MW liegt, würde zum Verlust eines der letzten naturbelassenen Gebirgsflüsse Österreichs führen. Der EuGH soll nun klären, ob der Ausschluss von Umweltorganisationen aus WRG-Verfahren mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie und der Aarhus-Konvention vereinbar ist. Es ist dies das erste Mal, dass ein österreichisches Höchstgericht die Vereinbarkeit der nationalen Rechtslage mit der Aarhus-Konvention unter Unionsrechtsaspekten hinterfragt. Das Potenzial der Aarhus-Konvention sollte zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung genutzt werden. Denn sobald diese zur gelebten Praxis wird, können akzeptable Lösungen im Beteiligungsprozess ausverhandelt werden und müssen nicht vor Gericht erstritten werden“, so Walder. Als Negativbeispiel, das es in Zukunft zu verhindern gelte, nennt Walder das Vorgehen beim TIWAG-Rahmenplan: „Der Plan wurde von der TIWAG im Dezember 2008 eingebracht und fünfeinhalb Jahre lang zwischen dem Umweltminister, der TIWAG und dem Land Tirol adaptiert. Die Öffentlichkeit wurde dabei weder informiert noch in den Prozess miteinbezogen. Erst nach Abschluss der Planungen erhielt sie im Juli 2014 (während der Urlaubszeit) die Möglichkeit, sechs Wochen lang Einsicht in das 800 Seiten lange Dokument zu nehmen. Das ist ein klarer Widerspruch gegen das Europarecht im Sinne der Aarhus-Konvention, die eine frühzeitige und effektive Einbeziehung der Öffentlichkeit verlangt, und zwar auch zu einem Zeitpunkt, zu dem noch alle Planungsoptionen offen sind“, erklärt Walder.

Rechtsschutzmotor Aarhus-Konvention muss endlich anlaufen – volles Parteistellungsrecht in allen umweltrechtlichen Verfahren für Umweltorganisationen gefordert
Fest steht: „Der Zugang zu Gerichten für Mitglieder der Öffentlichkeit muss für sämtliche Umweltverfahren gesetzlich verankert werden. Nur so kann die auch für ProjektwerberInnen und den Wirtschaftsstandort Österreich so wichtige Rechtssicherheit wieder hergestellt werden. Derzeit ist diese durch zahlreiche abweichende Einzelfallentscheidungen und die zunehmende Aufhebung von Bescheiden in Frage gestellt. Diese Rechtsunsicherheit wird absurderweise von den VertreterInnen der Wirtschaftskammer selbst prolongiert. Wir fordern deshalb sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene die Erlassung von jeweils materienübergreifenden Umweltrechtsbehelfsgesetzen, worin die volle Parteistellung für Mitglieder der Öffentlichkeit, also insbesondere für Umwelt-NGOs, in sämtlichen umweltbezogenen Verfahren geregelt wird. Nur so kann der stockende Umwelt-Rechtsschutzmotor Aarhus-Konvention endlich ins Laufen kommen“, so Alge und Proschek-Hauptmann abschließend.

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