In Nordmazedonien, einem EU-Beitrittskandidaten, wird derzeit (Stand August 2023) nur wenig Abfall getrennt. Der Großteil, der von öffentlichen Institutionen gesammelt wird, kommt ungetrennt auf Deponien. Dadurch gehen nicht nur wichtige Ressourcen verloren, sondern die Deponien sowie illegal entsorgte Abfälle stellen auch ein gesundheitliches Risiko für die Bevölkerung dar. Zur Getrenntsammlung und dem Zuführen von Rohstoffen zum Recycling tragen vor allem informelle Rom:nja Abfallsammler:innen bei. Ein optimiertes Abfallmanagement unter Einbezug informeller Abfallsammler:innen und ein Aufbau der Kreislaufwirtschaft, wie es im Rahmen des Projekts angestrebt wurde, kommen der Umwelt und Gesellschaft zu Gute.
Hintergrund
In Nordmazedonien leben schätzungsweise 50.000 bis 100.000 Rom:nja, wovon 3.000 bis 5.000 als informelle Abfallsammler:innen arbeiten – sogenannte Green Agents. Sie sammeln 3 % aller Siedlungsabfälle und sind für 40 % des Recyclings verantwortlich. Trotz ihres wichtigen Beitrages für Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft sind sie Diskriminierung, Stigmatisierung und Verfolgung ausgesetzt. Aufgrund ihrer informellen Tätigkeit und dem damit verbundenen geringen Zugang zu medizinischer Versorgung und sozialen Unterstützungsmaßnahmen, leben viele von ihnen unter prekären Bedingungen. 14 % leben mit weniger als 100 € im Monat – das monatliche Mindesteinkommen in Nordmazedonien liegt bei etwa 300 €. Ohne Bildungsabschluss können sie keine Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration in Anspruch nehmen.
Projektleiterin Sophia Kratz mit Bernhard Zlanabitnig (EU-Umweltbüro), Asib Zekir und Cristina Marian (REDI) (v.l.). Das blaue Gefährt ist ein Tricycle, mit dem die Green Agents Abfälle einsammeln.
Foto: Umweltdachverband
Inhalte
REDI – Roma Entrepreneurship Development Initiative – implementierte das Projekt vor Ort als Projektpartner. Ziel war es, mit konkreten Maßnahmen die Situation der Rom:nja Green Agents zu verbessern. Außerdem wurde eine umfassende Studie „Informal Waste Collectors in North Macedonia: Perspectives, Constraints and Opportunities“ zu den Lebensbedingungen und Herausforderungen der Green Agents, basierend auf der Erhebung quantitativer und qualitativer Daten sowie Policy Analysen, inklusive politischer Handlungsempfehlungen angefertigt. Im Rahmen einer Konferenz und eines Abschlussevents wurden die Ergebnisse relevanten nordmazedonischen und europäischen Stakeholder:innen vorgestellt.
Im Sommer 2022 wurden zwei Workshops für und mit Rom:nja Green Agents durchgeführt. Der zweite Workshop richtete sich an nicht formalisierte Green Agents, für die selten Derartiges organisiert wird. Dabei wurde diskutiert, wie der Abfall, bzw. wiederverwendbare oder recycelbare Materialien im Sinne der Kreislaufwirtschaft behandelt werden und wie sich daraus „Green Jobs“ entwickeln könnten, um die Integration der Green Agents zu fördern.
Darauf aufbauend wurden Mediator:innen engagiert, um die Green Agents bei diversen Herausforderungen zu unterstützen: Beantragung von Sozialleistungen, Weiterbildungen, Registrierungen etc. Diese Maßnahmen wurden begleitet von der Weiterbildung von 14 Personen in zwei Betrieben, Mama Organa und Enko Term, die nach der Weiterbildung neun Personen bei sich anstellten. Weiters konnte fünf Personen eine Führerscheinprüfung ermöglicht werden.
Ergänzend zu den Projektaktivitäten in Nordmazedonien wurde federführend vom European Environmental Bureau (EEB) ein Arbeitspaket erarbeitet, das sich mit dem Konzept Environmental Justice and Racsim in Bezug auf Rom:nja Green Agents befasste. Unter Environmental Racsim versteht man, dass bestimmte Gruppen in einem Raum leben, die weniger geschützt ist als die Umwelt anderer. Dies bedeutet, dass die Betroffenen negativen Umwelteinflüssen, z. B. durch Mülldeponien, mehr Verkehr, schlechteren Zugang zu Elektrizität, Wasser oder medizinischer Versorgung ausgesetzt sind. Dies wurde durch die Covid-19 Pandemie noch verstärkt. Im Rahmen des Projektes wurde ein Workshop mit relevanten Stakeholder:innen durchgeführt, um das Konzept zu diskutieren und Erfahrungen über Landesgrenzen hinweg auszutauschen. Zudem wurde der “Policy Report: Between Circularity, Environmental Justice & Slow Violence: The Case of Roma Informal Recycler Communities in North Macedonia” verfasst.
Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft spielen im Konzept der Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle.
Foto: EtiAmmos/Shutterstock.com
Erkenntnisse
Die politischen Empfehlungen der Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Green Agents müssen registriert und in den formalen Arbeitsmarkt integriert werden. Des Weiteren brauchen sie Unterstützung in Form einer verbesserten Infrastruktur, verbessertem Equipment und dem legalen Zugang zu Abfall. Darüber hinaus ist der Zugang zu Bildung, Weiterbildungen und Training essenziell. Alle Maßnahmen müssen unter Einbeziehung von Rom:nja Green Agents geschehen, denn sie haben über Jahre und aus eigener Kraft ein Sammel-, Trenn- und Recyclingsystem etabliert und sich enormes Wissen über sämtliche Materialien angeeignet.
Nordmazedoniens Abfallsektor muss in den nächsten Jahren großen Umgestaltungsmaßnahmen unterzogen werden, um einerseits Umwelt und Gesellschaft zu schützen, andererseits der EU-Gesetzgebung zu entsprechen. Dabei dürfen die Rom:nja Green Agents nicht vergessen werden, da die Umgestaltung des Sektors direkten Einfluss auf ihre Arbeit haben wird. Andererseits darf nicht der Fehler gemacht werden, zu denken, dass Rom:nja Green Agents freiwillig in diesem Sektor tätig sind, bzw. Rom:nja direkt mit Abfall in Verbindung zu bringen. Gleichzeitig braucht es Maßnahmen, um ihre teils prekären Lebensbedingungen zu verbessern. Nicht nur in Nordmazedonien, sondern in ganz Europa leben Rom:nja, die stereotypen Vorurteilen ausgesetzt sind und unter schwierigen Bedingungen leben, weshalb insbesondere das Thema Environmental Justice auch für Österreich relevant ist.
Das Projekt zeigt einmal mehr, wie wichtig ein funktionierendes Abfallmanagement-System ist, um eine funktionierende Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Abfall ist nichts anderes als Ressourcen am falschen Ort – und dieser Blickwinkel ist letztlich auch für die Reduktion unseres Ressourcenverbrauchs entscheidend.