Ausweisungsdefizite – das Vertragsverletzungsverfahren 2013 - 2016

Am 30. Mai 2013 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich ein, nachdem sie zuvor Österreich ob seines unvollständigen Natura 2000-Netzwerks gemahnt hatte. Die Folge: Rund 200 neue Natura 2000-Gebiete sollten gemeldet werden. Gefordert war ein sofortiger Baustopp für alle Projekte in den potenziellen Schutzgebieten. Im Rahmen von zwei Bewertungsseminaren im März 2015 und Frühjahr 2016 wurden die weiteren Schritte zur Nachnominierung festgelegt und die Meldungen konkreter Gebiete gefordert.

Das Umweltmusterland Österreich - im speziellen Fall die Bundesländer - war nun gefordert, seinen Pflichten, weitere Natura 2000-Gebiete auszuweisen, nachzukommen. Im Vorfeld dieser Entscheidungen hatte der Umweltdachverband der EU-Kommission eine in Kooperation mit zahlreichen Expert:innen und mit Unterstützung der Oberösterreichischen Umweltanwaltschaft erstellte Schattenliste zukommen lassen, die notwendige Gebietsnominierungen zur Erfüllung der europäischen Naturschutzverpflichtungen aufzeigte. Nach intensiver Prüfung dieser sowie zweier weiterer Studien zum Nachnominierungsbedarf für FFH-Arten (Protect, 2012) und für FFH-Lebensraumtypen (Nadler et al., 2012) führte die Kommission in ihrem Pilotschreiben aus, «dass das Natura 2000 Netzwerk in Österreich noch immer unvollständig ist» und dass «FFH-Gebietsvorschlagsdefizite für 12 Lebensraumtypen und 29 Arten in dem zur Alpinen Biogeographischen Region gehörigen Teil Österreichs sowie für 14 Lebensraumtypen und 42 Arten in dem zur Kontinentalen Biogeographischen Region gehörigen Teil Österreichs» vorliegen.

Piz Val Gronda copyright Michael Reischer Tiroler Umweltanwaltschaft

Piz Val Gronda © Michael Reischer/Tiroler Umweltanwaltschaft

Beeinträchtigung der ökologischen Merkmale der Gebiete ist unzulässig

Es war somit zu erwarten, dass Österreich an die 200 weitere mögliche Natura 2000-Gebiete zu melden hat, darunter Naturkleinode wie die Isel oder den Piz Val Gronda in Tirol, die Sattnitz in Kärnten oder das Warscheneck in Oberösterreich. Aus einem Urteil des EuGH aus dem Jahr 2006 gegen den Freistaat Bayern geht hervor, dass für diese potenziellen Natura 2000-Gebiete nun gilt, «dass die Mitgliedstaaten keine Eingriffe zulassen, die die ökologischen Merkmale dieser Gebiete ernsthaft beeinträchtigen könnten». Der Umweltdachverband empfahl aus diesem Grund den Landesregierungen alle in diesen Gebieten laufenden Verfahren und Projekte, die dieser Rechtsprechung widersprechen, auszusetzen bis eine finale und rechtsverbindliche Klärung des weiteren Ausweisungsbedarfs herbeigeführt ist. Befürchtet wurde, dass wenn die Naturschutzverwaltungen der Bundesländer dieser Rechtsprechung nicht folgen würden, enorme wirtschaftliche Konsequenzen in Folge von Strafzahlungen die Folge sein könnten. Planungen und Projekte, die bisher in den nun eingeforderten Gebieten begonnen wurden, wie etwa das Seilbahnprojekt am Piz Val Gronda, sollten wieder in Frage gestellt werden.

2015 & 2016: Zwei Bewertungsseminare zur Festlegung der nachzunominierenden Gebiete

Die Bundesländer waren angehalten, ihren Naturschutzverpflichtungen nachzukommen. Diese Verantwortung bestätigte auch das Mitte März 2015 in Wien abgehaltene Bewertungsseminar, das Expert:innen und Vertreter:innen von EU-Kommission, Bundesländern und Interessengruppen an einen Tisch brachte. Die Veranstaltung diente der Bewertung von Schutzgütern und umfasste in der ersten Verhandlungsrunde zwei Tage intensive sowie konstruktive Debatten. Insgesamt wurden knapp 100 Schutzgüter behandelt, wovon rund die Hälfte im Natura 2000-Netzwerk davor gar nicht berücksichtigt oder unterrepräsentiert gewesen waren.

Das Gebiet der Isel mitsamt Zubringern wurde dabei klar außer Streit gestellt und der Nachnominierungsbedarf bestätigt. Konsens herrschte bei der Diskussion zudem über den Piz Val Gronda in Tirol, die Koralm in der Steiermark und die Sattnitz sowie Teile der Karawanken in Kärnten. Der weitere Zeitplan sieht die zweite Nominierungsfrist für die Bundesländer Ende 2015 sowie eine zweite Verhandlungsrunde im Frühjahr 2016 vor. Bis dahin muss der Ausweisungsprozess von Gebieten und Schutzgütern nach den Anforderungen der Europäischen Kommission abgeschlossen sein. Entscheidend wird diese Phase beispielsweise für wichtige Schutzgüter wie die Bergmähwiesen oder den Luchs, die beim Seminar 2015 noch nicht behandelt werden konnten.

 

Fazit: Der Nachnominierungsprozess war in den Jahren 2015 und 2016 endlich in Gang gekommen. Die Energien sollten nun gebündelt Richtung Ausweisung der noch ausständigen Gebiete und in ein ordnungsgemäßes Schutzgebietsmanagement gelenkt werden, denn auch dort wurde noch Bedarf nach großen Anstrengungen gesehen. Die Bewertungsseminarr 2015 und 2016 waren die ersten Schritt in die richtige Richtung. Der Umweltdachverband forderte die Bundesländer auf, ihre Hausaufgaben zu machen – und sicherte den Bundesländern eine weiterhin aufmerksame und aktive Begleitung im Nachnominierungsprozess zu.

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