Umweltdachverband: Skigebietsausbau angesichts der Klima- und Biodiversitätskrise – wann ist es endlich genug?!

  • Bundesländer-Tournee im Rahmen des 50-Jahr-Jubiläums: Brennpunkt #Oberösterreich
  • Aktuelle Ausbaupläne auf Wurzeralm rechtswidrig
  • Dringender Appell: Keine öffentlichen Gelder mehr für Naturzerstörung!

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©Tina Leonhard/ Umweltdachverband

Linz, 20.07.23 (UWD) Klima-, Energie- und Biodiversitätskrise stellen uns vor große Herausforderungen, die lösungsorientierten Umwelt- und Naturschutz benötigen. Der Umweltdachverband nimmt im Rahmen seiner Bundesländer-Tournee zum 50-Jahr-Jubiläum naturzerstörerische Erschließungsprojekte in Oberösterreich unter die Lupe, die einen zukunftsfähigen Qualitätstourismus konterkarieren. „Die Ruhe rund um die Skigebietsausbaupläne in den Skigebieten Hinterstoder und Wurzeralm trügt. Hinter den Kulissen wird bereits intensiv an neuen Expansionsprojekten gearbeitet. Angesichts der Klima- und Naturkrise sind die Endausbaugrenzen des technisierten Skitourismus längst erreicht. Wir verlangen eine Umorientierung hin zu einem zukunftsfähigen Ganzjahrestourismus, der ohne neue technische Erschließungen und Naturzerstörung auskommt“, sagt Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes.

Naturzerstörerische Pläne auf der Wurzeralm
„Die Wurzeralm gehört zu den schönsten alpinen Naturlandschaften Oberösterreichs. Die Weiterentwicklung der Wurzeralm zu einem Familien-Skigebiet – unter Einhaltung ökologischer Mindeststandards – wäre grundsätzlich zu befürworten. Die aktuellen Pläne kommen jedoch einem völlig überdimensionierten Neubau gleich: Die neue Talstation ist im Nahbereich des geschützten Oberen Filzmooses geplant, wofür ein Bach verrohrt und eine hochwertige Magerwiese verbaut werden müssten. Die Lifttrasse soll verbreitert und in das Naturschutzgebiet Warscheneck verlegt werden, was eindeutig der Schutzgebietsverordnung widerspricht. Dafür müssten naturschutzfachlich wertvolle Flächen im Bergwald gerodet werden. Zusätzliche Besucher:innenströme einerseits durch die wesentliche Erhöhung der Förderkapazität der neuen Frauenkarseilbahn und andererseits durch einen neuen Gastronomiebetrieb mit Terrasse in über 1.800m Seehöhe wären die Folge. Unter diesen Umständen ist mit dem nächsten naturzerstörenden Eingriff, einer Pistenerweiterung, zu rechnen. Dies war der Grund, warum der Alpenverein und die Naturfreunde die Planungsunterlagen bereits 2021 der Rechtsservicestelle der Alpenkonvention zur Prüfung überlassen haben“, sagt Herbert Jungwirth, Landesnaturschutzreferent des Österreichischen Alpenvereins OÖ. Vor mehr als 20 Jahren wurden Naturschutzgrenzen verschoben, um einen Speicherteich, einen Restaurantbetrieb und wesentliche Pistenerweiterungen im Frauenkar zu ermöglichen. Fast nicht zu glauben: Heute werden die damaligen Eingriffe als massive Vorbelastung bezeichnet und sind u. a. Grund für den positiven Naturschutzbescheid. Mit den neu geplanten Eingriffen ist somit künftig noch mehr Naturzerstörung möglich, da sich die Gesamt-Vorbelastung erhöht. „Das Ende der Fahnenstange ist somit noch immer nicht erreicht. In Anbetracht der hohen Förderquote durch das Land OÖ habe ich mir wesentlich mehr Rücksicht auf die Natur bei der Sanierung der Frauenkarseilbahn erwartet“, so Jungwirth.

Gutachten der Rechtsservicestelle Alpenkonvention erkennt rechtswidrige Eingriffe
Seit bereits mehr als 80 Jahren wird im Gebiet der Wurzeralm, einem der hochwertigsten Naturgebiete Österreichs, um das richtige Maß zwischen Schutz einzigartiger Naturräume und Nutzung des Gebietes für den Skitourismus gerungen. Dabei wurden Schutzgebietsabgrenzungen immer wieder an die Wünsche der Skigebietsbetreiber angepasst und damit auch Eingriffe in geschützte und schutzwürdige Natur durchgesetzt. Aktuell sind der Neubau der Frauenkarseilbahn, inklusive einer neuen Tal- und Bergstation, die Errichtung eines Speicherteiches, von Skiwegen und Pistenadaptierungen sowie die Errichtung einer Beschneiungsanlage geplant. „Trotz negativen Gutachtens der Rechtsservicestelle Alpenkonvention, das einen klaren Widerspruch zum Schutzzweck des betroffenen Naturschutzgebietes Warscheneck Süd – Purgstall sieht, wurde von der Oberösterreichischen Landesregierung am 22. Oktober 2022 ein positiver naturschutzrechtlicher Bescheid erteilt, obwohl in ein bestehendes Naturschutzgebiet eingegriffen wird“, sagt Paul Kuncio, Geschäftsführer von CIPRA Österreich und Umweltjurist im Umweltdachverband. Seitens der Umweltanwaltschaft wurde in Folge Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht erhoben. Wortwörtlich wird bereits in einem Gutachten aus dem Jahr 2000 ausgeführt: „Durch die umfangreichen Erschließungsmaßnahmen (Skierschließung, Wurzeralm, Beherbergungsbetriebe und diverse Zufahrtsstraßen), die in den letzten Jahrzehnten getätigt wurden, entspricht der Status Quo nicht mehr den naturschutzfachlichen Anforderungen.“ Mit den geplanten Ausbaumaßnahmen muss hinterfragt werden, ob damit nicht die Erhaltungspflicht von Schutzgebieten gemäß der Alpenkonvention verletzt wird. „In den Jahren 2000 und 2002 wurde das ursprüngliche Naturschutzgebiet zugunsten kommerzieller Nutzung aufgelöst und mit Schaffung von zwei neuen Schutzgebieten und einem Landschaftsschutzgebiet versucht, die mit den Schutzzwecken im Widerspruch stehenden Eingriffe der Vergangenheit quasi zu sanieren. Diese schrittweise Degradation hochwertigster Naturgebiete ermöglichten erst die Bewilligung der aktuell in Diskussion stehenden Pläne, da die Summe aller bereits getätigten Eingriffe in Relation zu den neuen Eingriffen gestellt wurden, obwohl diese eigentlich gar nicht bewilligungsfähig wären“, so Kuncio. Der Umweltdachverband fordert daher einen Stopp der rechtswidrigen naturzerstörerischen Pläne im Wurzeralmgebiet. Es ist insbesondere angesichts von Artensterben, Klimaerhitzung und Bodenverbrauch alarmierend, wenn Skigebietsbetreiber selbst vor ausgewiesenen Naturschutzgebieten nicht Halt machen!

Riesige PV-Freiflächenanlage für Skigebietsverbindung Höss – Vorderstoder in Planung
Auch das landschaftszerstörerische Projekt einer Verbindung der Höss mit Vorderstoder wird hinter den Kulissen nach wie vor vorangetrieben. Um dem Argument des hohen Energieverbrauchs für künstliche Beschneiung und dem Normalbetrieb eines Skigebiets entgegenzutreten, war von der Hinterstoder-Wurzeralm Bergbahnen AG (HiWu) eine 10 Hektar große PV-Freiflächenanlage in Vorderstoder, Ortsteil Michlreith, geplant. „So sehr der Ausbau der Photovoltaik grundsätzlich zu begrüßen ist, so ungeeignet war der inzwischen abgelehnte Standort in absoluter Grün- und Waldrandlage. Auch wenn eine eigene PV-Anlage die CO2-Bilanz eines Skigebietes verbessern mag, kann dies niemals Kompensation für den enormen Wasser-, Natur- und Flächenverbrauch sowie die Umwelt- und Klimabelastung durch An- und Abreise ins Skigebiet darstellen“, betont Maier.

UWD fordert den Stopp öffentlicher Förderungen für Naturzerstörung
Laut aktuellem Rechnungshofbericht 2023 wurden auf der Wurzeralm für Projekte, die mit 22,6 Millionen Euro budgetiert wurden, 14,9 Millionen Euro Förderungen durch das Land OÖ zugesagt. Dies entspricht einer Förderquote von 66 (!) Prozent. Derart hohe Förderungen schmälern die „Spielräume zur Unterstützung von anderen Projekten“ (Zitat Landesrechnungshof). „Der Rechnungshof kritisiert nicht nur die hohen, ineffizienten Förderungen, sondern rät außerdem dazu, den Skitourismus in Oberösterreich nicht zuletzt auch wegen des Klimawandels zu überdenken. Die Politik muss die Augen öffnen. Die neue Oberösterreichische Tourismusstrategie, die im Herbst beschlossen werden soll, muss den Herausforderungen von Klimakrise und Artensterben Rechnung tragen und von naturzerstörerischen Erschließungsprojekten abrücken“, fordert Maier.

Wintertourismus auch in Oberösterreich völlig neu und nachhaltig denken!
„Dem Skisport schmilzt mehr und mehr die Daseinsgrundlage weg. Selbst bei klimabewusstem Verhalten wird die Schneesicherheit in Österreich in den kommenden Jahrzehnten weiter abnehmen, was den Wintertourismus vor große ökologische und wirtschaftliche Herausforderungen stellt. Untersuchungen belegen, dass die Anzahl der Tage mit Schnee deutlich zurückgegangen ist. Im Schnitt hat die Schneedeckendauer in allen Höhenlagen seit 1961 bereits um 40 Tage abgenommen. Auch künstliche Beschneiung kann dieses Problem nicht lösen und Snowfarming kann maximal als kurzfristige Notlösung fungieren. Abgesehen davon, dass die Erzeugung von Kunstschnee unökologisch ist, muss man sich die grundsätzliche Frage stellen, wo und ob überhaupt Skifahren in Zeiten des Klimawandels noch Sinn macht. Das Aufrechterhalten des Status quo – egal, ob durch Snowfarming, Kunstschneeanlagen oder das Höherverlegen von Skipisten – ist keine zukunftsfähige Option – weder in Bezug auf die Umwelt noch auf die Wirtschaftlichkeit. Wir brauchen eine neue Kultur des Wintertourismus, die sich auf die natürlichen Qualitäten des Alpenraums bezieht. Gerade die Pyhrn-Priel-Region verzaubert mit ihren Bergen, Schluchten, Gebirgsbächen und ihrer besonderen landschaftlichen Vielfalt. Diese gilt es – durch eine sanfte Entwicklung des Tourismus mit besonderer Rücksichtnahme auf die Natur – zu erhalten. Die Angebotspalette muss erweitert werden. Die Region ist bereits jetzt als Eldorado für Wandernde, Kletternde und Mountainbiker:innen bekannt und hat das Potenzial, diese Rolle noch stärker einzunehmen. Speziell für Familien kann die Region zu einem besonderen Natur- und Bergerlebnis weiterentwickelt werden. In Zukunft werden jedenfalls diejenigen profitieren, die das Bergerlebnis nachhaltig und ganzjährig anbieten. Damit werden auch Ganzjahresarbeitsplätze in den Bergregionen geschaffen. Und last but not least müssen auch im Sinne der Agenda 2030 und der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) Fairness, Zukunftsorientierung und Verantwortung gegenüber der Umwelt und nachfolgenden Generationen die Grundlage jeder touristischen Entwicklung sein“, so Christian Dornauer, Landesgeschäftsführer der Naturfreunde Oberösterreich.

Abschließend appellieren Umweltdachverband, Alpenverein OÖ, Naturfreunde OÖ und CIPRA Österreich: „Die Politik ist aufgerufen, in Zukunft ausschließlich naturverträgliche Projekte mit Steuergeldern zu fördern. Die Schönheit der Landschaft rund um die Wurzeralm darf nicht dem ressourcenverbrauchenden Winter-Massentourismus geopfert werden, sondern muss für sanften, naturverträglichen Ganzjahrestourismus erhalten bleiben.“

Weitere Unterlagen zum Download:

Download Foto Wurzeralm (Copyright: Josef Friedhuber)
Download Foto Pistenbau Frauenkar (Copyright: Mollner Kreis)
Download Foto Pressekonferenz: v.l.n.r.: Christian Dornauer, Herbert Jungwirth, Franz Maier, Paul Kuncio (Copyright Umweltdachverband)